What?
In der Presse war in der jüngsten Zeit oft zu lesen von der Strafverfolgung gegen den früheren CEO der Raiffeisenbank Schweiz, dem u.a. vorgeworfen wird, er habe verdeckte private Beteiligungen an Unternehmen aufgebaut, bevor diese von der Raiffeisenbank übernommen wurden. Dabei habe er Gewinne in Millionenhöhe realisiert.
Angenommen, diese Vorwürfe liessen sich erhärten, gegen welche Pflichten in zivilrechtlicher und strafrechtlicher Hinsicht hätte er verstossen?
Eine der zentralen Pflichten nicht nur von Mitgliedern von Verwaltungsräten, sondern von allen Personen, die mit der Geschäftsführung befasst sind, ist die Treuepflicht. Wie es Art. 717 des Obligationenrechts in aller Kürze formuliert, müssen Mitglieder eines Verwaltungsrats «die Interessen der Gesellschaft in guten Treuen wahren». In der Praxis sehr wichtig sind auch die Normen des Strafrechts, die bei Verletzungen der Treuepflicht zur Anwendung gelangen können, insb. der Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung nach Art. 158 des Strafgesetzbuchs. Gemäss der festen Praxis der Gerichte ist Art. 158 StGB auf Mitglieder des Verwaltungsrats (wie auch auf andere Organe der Gesellschaft) anwendbar. Wenn diese bewirken oder zulassen, dass die Gesellschaft am Vermögen geschädigt wird, können sie mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden, bzw. sogar fünf Jahren Freiheitsstrafe, wenn Bereicherungsabsicht vorliegt.
So what?
Verletzt also ein Mietglied des Verwaltungsrats seine Treuepflicht und führt dies zu einem Schaden für die Gesellschaft, kann dies sowohl zivilrechtliche wie auch strafrechtliche Folgen für ihn haben. Zivilrechtlich kann er zur Leistung von Schadenersatz verpflichtet werden, strafrechtlich kann er zu Busse oder Gefängnisstrafe verurteilt werden. Die strafrechtliche Verfolgung ist deshalb besonders gefürchtet, als die Einleitung eines Strafverfahrens keinen Antrag der geschädigten Gesellschaft voraussetzt (also vom betreffenden Verwaltungsrat nicht verhindert werden kann). Jeder, also z.B. ein anderes Mitglied des Verwaltungsrats, ein Aktionär, ein Arbeitnehmer oder sogar ein Aussenstehender, der von einer strafrechtlich relevanten Verletzung der Treuepflicht erfährt, kann eine Strafanzeige einreichen. Es handelt sich beim Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung zudem um ein Offizialdelikt, d.h. die Strafverfolgungsbehörden müssen bei Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts von Amtes wegen tätig werden.
Die Informationen und Beweismittel, die im Strafverfahren gesammelt werden, können auch als Beweisgrundlage für eine Zivilklage gegen das betreffende Mitglied des Verwaltungsrats dienen, so dass einer Strafverfolgung oft eine Haftungsklage folgt, sei diese als Teil des Strafverfahrens (Zivilkläger) oder in einem neuen Verfahren vor einem Zivilgericht.
Kann sich das Mitglied des Verwaltungsrats in Sicherheit vor zivilen Haftungsklagen wiegen, wenn er eine Berufshaftpflichtversicherung mit Einschluss von Verwaltungsratsmandaten abgeschlossen hat? Nein: Wenn das Handeln einen Straftatbestand erfüllt, kann ein Haftpflichtversicherer sich auf einen Ausschluss von Leistungen berufen und dem betreffenden Mitglied des Verwaltungsrats den Versicherungsschutz verweigern. Mit anderen Worten: Keine Versicherungsdeckung für die Haftung aus Straftaten!
Wie kann die – in Art. 717 OR und Art. 158 StGB kaum umschriebene – «Treue» näher konkretisiert werden? Klar ist, dass es für das Mitglied des Verwaltungsrats darum geht, alles zu unterlassen, was für die Gesellschaft schädlich ist.
Dazu einige Beispiele:
- Die Mittel der Gesellschaft werden nicht zum Wohle der Gesellschaft oder nicht effizient eingesetzt. Das Bundesgericht sah die Treuepflicht verletzt und die Mitglieder des Verwaltungsrats haftbar, als ein Verwaltungsrat in missbräuchlicher Weise einem Minderheitsaktionär die Eintragung der Aktien im Aktienbuch verweigerte und millionenteure Prozesse zu diesem Zweck führte.
- Konkurrenzverbot: Ein Mitglied des Verwaltungsrats darf die Gesellschaft nicht konkurrenzieren, sei es, dass er selber direkt oder indirekt ein konkurrenzierendes Geschäft betreibt, sei es, dass er Verwaltungsrat oder Organ eines konkurrenzierenden Unternehmens ist.
- Diskretions- und Schweigepflicht: Dieser unterliegen nicht nur die Geschäftsgeheimnisse der Gesellschaft, sondern insb. auch die Informationen und Unterlagen, die der Verwaltungsrat anlässlich der Sitzungen des Verwaltungsrats erhält (Beratungsgeheimnis). In der Praxis wenig bekannt ist, dass diese Schweigepflicht auch gegenüber Aktionären der Gesellschaft gilt – ein Mitglied des Verwaltungsrats kann also nicht einfach Aktionären aus den Sitzungen «berichten».
- Angemessenheit von Eigengeschäften: Kommt es zu Geschäften zwischen der Gesellschaft und einem Mitglied des Verwaltungsrats, muss eine Benachteiligung der Gesellschaft ausgeschlossen werden können. Wenn der Verwaltungsrat z.B. ein Auto, eine Liegenschaft oder eine Beteiligung von der Gesellschaft übernimmt, muss der Preis marktgerecht sein.
- Die legitimen Interessen der Minderheitsaktionäre werden missachtet. Ein Beispiel aus meiner Praxis: Die Mehrheitsaktionäre, die auch im Verwaltungsrat Einsitz haben, gründen eine neue Gesellschaft (ohne den Minderheitsaktionär), übertragen die wesentlichen Aktiven sowie die Kunden auf diese neue Gesellschaft und lassen die nichts als eine «leere Hülle» zurück. Sie haben sich strafbar und schadenersatzpflichtig gemacht erstens durch die Entnahme der Aktiven und zweitens durch die Konkurrenzierung mit einer neuen Gesellschaft.
- Heikel ist auch der Umgang mit sog. «Gelegenheiten zum Abschluss von Geschäften»: Einem Mitglied des Verwaltungsrats wird die Möglichkeit zu einem Geschäft für die Gesellschaft angetragen. Er beschliesst, dieses Geschäft nicht der Gesellschaft zu überlassen, sondern selbst abzuschliessen. Damit ist die Gesellschaft und damit v.a. auch Aktionäre und Gläubiger geschädigt.
- Umgang mit Interessenskonflikten eines Verwaltungsrats: Dieses Problem war bisher im Gesellschaftsrecht nicht geregelt. In der neuesten Revision wurde ein Art. 717a OR eingefügt, der den Mitgliedern des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung aufträgt, über sie betreffende Interessenskonflikte den Gesamtverwaltungsrat zu informieren. Dieser muss dann geeignete Massnahmen treffen, um die Interessen der Gesellschaft zu schützen.
- Selbstverständlich ist auch, dass ein Mitglied des Verwaltungsrats keine Vorteile von Dritten annehmen darf dafür, dass er die Gesellschaft z.B. zu einer Transaktion veranlasst oder den Abschluss dieser Transaktion auch nur im Rahmen seiner Mitwirkung in der Geschäftsführung fördert. Es ist ausserordentlich heikel, wenn sich ein Mitglied des Verwaltungsrats von einem Dritten z.B. eine Vermittlungsprovision versprechen lässt, wenn es zum Abschluss eines Geschäfts zwischen der Gesellschaft und dem Dritten kommen sollte. In einem solchen Fall liegt der Schluss nahe, es habe seinen Einfluss im Verwaltungsrat dazu benutzt, um das Geschäft zu ermöglichen und sich so letztlich die Provision zuzuschanzen.
Sehr instruktiv sind auch die Fälle, in denen die Gerichte Organe von Gesellschaften wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung strafrechtlich verurteilt haben:
- Der Geschäftsführer kaufte Aktien, die der Gesellschaft gehörten, zum Nominalwert von CHF 31’000, obwohl der Marktwert bei über 1 Mio. lag.
- Der Vorsitzende des Stiftungsrats einer Personalvorsorgestiftung gab nicht weniger als 20% des Stiftungsvermögens als Darlehen an eine von ihm beherrschte Gesellschaft, obwohl diese vor dem Konkurs stand.
- Der Geschäftsführer bestellte zu Lasten des Gesellschaftsvermögens Garantieverpflichtungen für eigene Schulden.
- Der Leiter der Filiale eines Ingenieurbüros schloss im Hinblick auf seine geplante selbständige Tätigkeit einen Vertrag mit einem Kunden mit sich selbst und nicht für das Ingenieurbüro ab.
- Ein Mitglied des Verwaltungsrats liess sich beim Kauf einer Liegenschaft durch die Gesellschaft vom Verkäufer der Liegenschaft eine hohe Provision geben.
- Der Vizepräsident des Verwaltungsrats liess das Patent für eine Erfindung der Gesellschaft durch eine andere Gesellschaft anmelden.
Do what?
Best practices, die zu beachten sind, damit ein Mitglied des Verwaltungsrats sich nicht wegen Verletzung der Treuepflicht strafbar und schadenersatzpflichtig macht, sind etwa:
- Jeder, der in einem Unternehmen mit der Geschäftsführung befasst ist, hat strikte seine Eigeninteressen jenen des Unternehmens hintanzustellen. Eine Konkurrenzierung ist ebenso zu vermeiden wie das Erzielen von Profiten, die zu Lasten des Unternehmens gehen.
- Kommt es zu Transaktionen mit dem Unternehmen, muss darauf geachtet werden, dass diese nach den Bedingungen abgewickelt werden, die den Drittmannstest erfüllen. Dieser Umstand muss auch sorgfältig dokumentiert werden. Bei der Entscheidfällung in einem Gremium soll auf den Interessenskonflikt hingewiesen und es sollen die Regeln des Ausstands beachtet werden.
- Zu beachten ist, dass die Pflichtverletzung auch dann geschieht, wenn Mitglieder eines Gremiums passiv bleiben, d.h. zulassen, dass andere Mitglieder ihre Treuepflicht verletzen und die Gesellschaft schädigen. In solchen Situationen müssen die Mitglieder des Verwaltungsrats aktiv werden.