
What?
Erstaunlich oft sind sich Verwaltungsräte und Aktionäre von Aktiengesellschaften nicht bewusst, dass für Wahl des Verwaltungsrats eine Frist besteht: Die Wahl muss in einer Generalversammlung der Aktionäre erfolgen (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 2 des Obligationenrechts) und die Generalversammlung muss innerhalb von 6 Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres stattfinden (Art. 699 Abs. 2 OR).
Gründe, weshalb ein Unternehmen die Generalversammlung (und damit die Wahl des Verwaltungsrats) nicht rechtzeitig durchführt, gibt es viele:
- Der Jahresabschluss mit dem Revisionsbericht liegt noch nicht vor.
- Das Unternehmen ist Teil eines Konzerns und die Vertreter der Muttergesellschaft wollen erst später anreisen.
- Pure Nachlässigkeit.
- Taktische Überlegungen, z.B. wenn ein Streit zwischen den Aktionären vorliegt. Z.B. will der Präsident des Verwaltungsrats seine Abwahl verhindern, indem er einfach keine Generalversammlung einberuft oder die Wahl des Verwaltungsrats nicht traktandiert.
Eine Gesellschaft ohne gewählten Verwaltungsrat ist handlungsunfähig und droht in eine Krise zu schlingern. In der Vergangenheit wurde deshalb vorgeschlagen, es sei in einer solchen Situation von einer «stillschweigenden Verlängerung» der Amtsdauer der Mitglieder des Verwaltungsrats auszugehen. Verschiedene Gesellschaften nahmen entsprechende Formulierungen in die Statuten auf.
Das Bundesgericht hat kürzlich in einem klaren Entscheid (BGE 148 III 69) diesen Versuchen einen Riegel geschoben und festgehalten, dass die Amtsdauer eines Mitglieds des Verwaltungsrats 6 Monate nach Ablauf des letzten Geschäftsjahres seiner Amtszeit (die Amtszeit kann wohlgemerkt länger als 1 Jahr sein!) endet, wenn keine Generalversammlung innert dieser Frist durchgeführt wurde.
So What?
Was das bedeutet, illustriert der dem Bundesgericht vorgelegte Fall:
Die betreffende Aktiengesellschaft hatte am 16. April 2019 eine ausserordentliche Generalversammlung durchgeführt, die zwei Verwaltungsräte im Amt bestätigte, dies für eine Amtszeit bis zum 31. Dezember 2019. Da im Jahre 2020 keine Generalversammlung durchgeführt wurde, endete die Amtszeit dieser beiden Verwaltungsräte mit Ende der 6-Monatsfrist für die Durchführung der Generalversammlung der Aktionäre am 30. Juni 2020.
Das von einer Minderheitsaktionärin angerufene Handelsgericht Zürich stellte fest, dass ein Organisationsmangel nach Art. 731b OR vorliege und setzte einen Sachwalter ein, der fortan anstelle des Verwaltungsrats die Geschäfte führen musste. Aufgetragen wurde dem Sachverwalter insbesondere, eine Generalversammlung der Aktionäre einzuberufen und die Wahl eines neuen Verwaltungsrats zu traktandieren.
Für das Unternehmen können solche Umstände zu erheblichen Unsicherheiten führen:
- Sind Entscheide, die der (nicht mehr gültig bestellte) Verwaltungsrat getroffen hat, gültig?
- Wer trifft dringende Entscheide, bis ein Sachwalter eingesetzt (und auch handlungsfähig) ist?
- Ist der Sachwalter überhaupt fachlich / persönlich in der Lage, das Unternehmen zu führen?
Für die Aktionäre entsteht eine besondere Unsicherheit dadurch, dass der bei einem Organisationsmangel angerufene Richter andere, drastische Entscheide fällen kann, denn er kann nach eigenem Ermessen die «erforderlichen Massnahmen» anordnen. Diese gehen bis zur Auflösung und Liquidation der Gesellschaft.
Do What?
Die ordentliche Generalversammlung sollte rechtzeitig in der ersten Jahreshälfte durchgeführt werden. Ist dies aus wichtigen Gründen nicht möglich (z.B., wenn die Jahresrechnung noch nicht vorliegt), so sollte rechtzeitig vor dem Ablauf der Amtsdauer der Mitglieder des Verwaltungsrats eine ausserordentliche Generalversammlung einberufen werden, die sich nur mit der Wahl befasst. Enthalten die Statuten Bestimmungen, die eine stillschweigende Wiederwahl oder ähnliches vorsehen, so sind diese besser zu löschen, damit keine Missverständnisse über deren Geltung aufkommen.