Viele Unternehmen kennen das: Kaum ist ein Produkt erfolgreich lanciert, werden Raubkopien auf den Markt geworfen. Ist das Produkt durch Immaterialgüterrechte geschützt (z.B. Patente, Designrechte, Markenrechte, Urheberrechte) stellt sich die Frage, wie diese zur Abwehr der Raubkopien eingesetzt werden können. Oft wird dabei an Zivilprozesse gedacht, d.h. der Rechteinhaber klagt die Unternehmen, die für die Herstellung der Raubkopien verantwortlich sind, ein und verlangt Schadenersatz sowie die Unterlassung weiterer Verletzungen. Die Mittel des Zivilprozesses sind aber in sehr vielen Fällen kaum tauglich: Sie sind sehr teuer (Prozesskostenrisiko), dauern sehr lange und können nicht effizient zum Einsatz gebracht werden, wenn die Verletzer im Ausland beheimatet sind und wenn Beweisschwierigkeiten bestehen.
Wesentlich günstiger und effektiver kann es sein, die Hilfe der Strafverfolgungsbehörden und der Zollbehörden und der Strafverfolgungsbehörden in Anspruch zu nehmen. Wie ist das möglich?
Alle Gesetze in den Bereichen des Immaterialgüterrechts (Patentgesetz, Designschutzgesetz, Markenschutzgesetz und Urheberrechtsgesetz) sehen strafrechtliche Sanktionen für die Verletzung von solchen Schutzrechten vor. Wenn ein Unternehmen also bemerkt, dass seine Schutzrechte verletzt werden, kann es gegen die für die Verletzung verantwortlichen Personen Strafanzeige stellen. Zentral für diesen Zweck ist, dass nicht nur der Hersteller von Produkten, die Schutzrechte verletzen, der Strafdrohung unterliegen, sondern ein relativ weiter Kreis von Mitbeteiligten, insb. auch Importeure und Verkäufer! Auch Handelsplattformen wie Amazon und Alibaba (bzw. deren verantwortliche Mitarbeiter) könnten sich bei einem allfälligen Vertrieb der verletzenden Produkte strafrechtlichen Sanktionen aussetzen. Solche Vertriebshelfer sind in der Regel viel besser greifbar als die Hersteller. Der erste Schritt bei festgestellten Schutzrechtsverletzungen ist deshalb immer eine Abmahnung dieser Vertriebshelfer, verbunden mit der Androhung einer Strafanzeige. Strafverfolgungsbehörden können auch verletzende Produkte beschlagnahmen. Die möglichen Sanktionen stehen für die Vertriebshelfer meist in keinem Verhältnis zu ihrem Gewinn, weshalb sie sehr oft sehr schnell ihre Mitwirkung einstellen. Solche strafrechtlichen Sanktionen sind insb. deshalb in der Wirtschaft sehr gefürchtet, weil sie nicht primär gegen Unternehmen (juristische Personen) gerichtet sind, sondern gegen die verantwortlichen Personen.
Auch der Zoll ist eine in der Praxis stark unterschätzte Hilfe bei Verletzung von Schutzrechten. Wie effektive sie ist, kann übrigens jeder am eigenen Leib erfahren: Wer kennt sie nicht, die Strassenhändler, Märkte und Geschäfte in fernen Ländern, welche unzählige Raubkopien von diversen Produkten, u.a. Rolex-Uhren, Luis Vuitton Handtaschen, Nike Turnschuhen etc. etc. anbieten? Gross ist die Verlockung, solche Mitbringsel aus den Ferien mitzunehmen. Die Einfuhr solcher Piraterieprodukte ist jedoch auch Privatpersonen nicht erlaubt, und der Zoll ist berechtigt, solche Produkte zu beschlagnahmen.
Diese Hilfe der Zollbehörden können nicht nur die Inhaber der weltberühmten Marken in Anspruch nehmen, sondern alle Inhaber von Schutzrechen, also auch Inhaber von Patenten, Designs, Urheberrechten. Es geht auch nicht bloss um die typischen Konsumgüter, sondern durchaus auch um industrielle bzw. gewerbliche Produkte, also z.B. Apparate, Medikamente, Chips, Maschinen etc.
Wie muss man vorgehen, um die Hilfe der Zollverwaltung in Anspruch zu nehmen?
Die Rechtsgrundlage für die Hilfe der Zollverwaltung wurde am 1. Juli 2008 eingeführt, indem die Bestimmungen zum Rechtsschutz in allen Immaterialgüterrechtsgesetzen der Schweiz ausgebaut wurden (aber nicht bei allen Gesetzen einheitlich):
- Im Markenschutzgesetz (MSchG) wurde die Ein-, Aus- und Durchfuhr von gewerblich hergestellten Piraterieprodukten auch dann verboten, wenn sie nicht zu gewerblichen Zwecken verwendet werden, d.h. dem privaten Gebrauch dienen (Art. 13 Abs. 2bis MSchG).
- Die gleiche Lösung wurde in das Designschutzgesetz eingefügt (Art. 9 Abs.1bis DesG).
- Im Patentrecht wurde die Ein-, Aus- und Durchfuhr jedoch lediglich verboten, wenn dies gewerblichen Zwecken dient, während die private Einfuhr bzw. Verwendung eines patentverletzenden Produkts vom Schutz ausgenommen ist (Art. 9 Abs.1 lit.a. PatG).
- Im Urheberrecht seit jeher die Ein-, Aus- und Durchfuhr von urheberrechtsverletzenden Produkten zu gewerblichen Zwecken verboten (nicht aber zu privaten Zwecken). In den Art. 75 ff. der Urheberrechtsgesetzes (URG) wurde eine umfassende Regelung für die Hilfeleistung der Zollverwaltung eingeführt.
Obwohl die Hilfestellung der Zollverwaltung bei der Durchsetzung der Immaterialgüterrechte in Art. 75-77h des Urheberrechtsgesetztes festgehalten wurde, gilt sie auch für die anderen Immaterialgüterrechte.
Was kann die Zollverwaltung tun?
- Einerseits ist sie ermächtigt, den Immaterialgüterrechtsinhaber zu benachrichtigen, wenn Verdacht auf Verletzung der Schutzrechte besteht. Eine Verpflichtung dazu hat sie jedoch nicht. Solche Benachrichtigungen sind wichtige Informationen für den Schutzrechtsinhaber.
- Anderseits prüft sie auf Antrag eines Schutzrechtsinhabers Immaterialgüterrechtsverletzungen. Dieser muss einen Antrag auf Hilfeleistung schriftlich bei der Oberzolldirektion in Bern stellen. Dieser beinhaltet insbesondere Angaben zum Schutzrechtsinhaber, eine Kopie der Eintragsurkunde oder beim IGE hinterlegten Urkunde, Anhaltspunkte für die Verletzung inklusive Unterscheidungsmerkmale zwischen gefälschten und Orginalwaren und allenfalls eine Liste der berechtigten Importeure.
Um allfällige Schadenersatzforderungen von Dritten gegen die Zollverwaltung abzudecken, ist dem Antrag auch eine Haftungserklärung beizulegen. In begründeten Fällen, beispielsweise wenn Zweifel bestehen, dass der Antragssteller in der Lage ist, einen allfälligen Schadenersatz zu bezahlen, kann die Zollverwaltung eine Sicherheitsleistung verlangen, um etwaige Schadenersatzforderungen abzudecken.
Zudem muss beantragt werden, was mit den Piraterieprodukten geschehen soll. Der Immaterialgüterrechtsinhaber muss explizit den Antrag stellen, ob ihm Proben, Muster oder Fotos der beschlagnahmten Produkte zugestellt werden sollen, ob Waren nach Ablauf der Interventionsfrist von der Zollverwaltung vernichtet werden sollen und ob die Zollverwaltung auch diejenigen Waren, die zu privaten Zwecken den Zoll passieren, zurückbehalten werden sollen.
Nicht nur Schweizer Unternehmen können mit einem Antrag die Hilfe der Zollverwaltung beanspruchen, auch ausländische können das. Hat der Antragssteller Sitz oder Wohnsitz im Ausland, verlangt die Zollverwaltung ausdrücklich, dass ein Vertreter mit Sitz in der Schweiz bestellt wird und dieser gehörig bevollmächtigt wird. Die Vollmacht des Vertreters ist ebenfalls mit dem Antrag einzureichen.
Der eingereichte Antrag auf Hilfeleistung wird von der Oberzolldirektion geprüft und entweder zur Verbesserung an den Antragssteller zurückgewiesen oder auf das interne Informationssystem («Intrazoll»). Die Zollstellen versuchen daraufhin die verdächtigen Waren zurückzuhalten und melden Anhaltungen dem Antragssteller sowie der Gegenpartei.
Darauf folgen drei verschiedene Szenarien:
- Besteht ein Antrag auf Vernichtung, wird die Ware vernichtet, sofern kein Einspruch der Gegenpartei besteht.
- Handelt der Antragssteller nicht, muss die Zollstelle die Waren wieder freigeben.
- Handelt der Antragssteller, indem er bei einem Gericht vorsorgliche Massnahmen oder ein Zivil- oder Strafurteil erwirkt, so vernichtet die Zollstelle die Ware oder gibt sie frei gemäss Urteil.
Zum Schluss stellt die Zollverwaltung noch die Gebühren in Rechnung. Beim Antragssteller fallen zwei verschiedene Gebühren an. Zum einen die Gebühr für die Behandlung der Anträge welche zwischen CHF 1500.- und CHF 3000.- beträgt, zu anderen werden Gebühren fällig, sobald die Zollstellen aufgrund des Antrags Waren zurückbehalten.
Der Antrag gilt während zwei Jahren, vor Ablauf der Geltungsdauer kann bei der Oberzolldirektion um Erneuerung nachgesucht werden.
Im Normalfall wird die Beschlagnahmung, ev. Zerstörung der Produkte genügend abschreckend wirken. Wichtig sind auch die von den Zollbehörden erlangten Informationen: Absender der Ware, Empfänger, Transporteure etc. bzw. schon die Tatsache, dass die verletzenden Produkte über die Grenze gebracht werden sollten – die Zollbehörden sind hier quasi ein «Radar» für die Schutzrechtsinhaber. Diese Informationen können für weitere straf- und zivilrechtliche Schritte sehr nützlich sein.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in der Schweiz für Immaterialgüterrechtsinhaber Verteidigungsmöglichkeiten gegen die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Fälschungen und unerlaubten Kopien bestehen. Dazu leistet die eidgenössische Zollverwaltung Hilfestellung, wobei zu beachten gilt, dass dies nur auf Antrag geschieht und dafür entsprechende Gebühren, die nicht ganz unerheblich sind, verrechnet werden. Gegenüber Zivilprozessen hat dieses Vorgehen aber immense Vorteile, insb. weil die Vollstreckung schon zumindest teilweise vorweggenommen wird: Die Produkte, die Schutzrechte verletzen, werden sofort schon beschlagnahmt. Dies führt bei allen, die am Vertrieb dieser Produkte beteiligt sind, schon zu ernsthaften Nachteilen. Z.B. können sie zugesagte Lieferungen nicht einhalten, haben keine Erlöse obwohl sie die Ware schon bezahlt haben etc. zu ernsthaften Nachteilen. Auch ist die Beschlagnahmung für jeden Beteiligten eine deutliche Warnung darauf, dass sie sich möglicherweise an einer Schutzrechtsverletzung beteiligen und sich den gesetzlichen Sanktionen aussetzen. Bei Wiederholungen könnten sie sich in späteren Verfahren (Strafverfahren, Zivilprozess) kaum mehr auf den Standpunkt stellen können, sie seien gutgläubig davon ausgegangen, dass der Vertrieb der Produkte zulässig sei.
Das System der Hilfestellung durch die Zollverwaltung ist hier nur für die Schweiz beschrieben. Im Ausland gilt es, die dort ebenfalls bestehenden Mechanismen zu nutzen.